Der Sprung vom Hürdenlauf in die Grundschule: Carolina Krafzik’s Karriereende

  12.09.2024    WLV Top-News WLV BLV Top-News BLV BW-Leichtathletik Top-News BW-Leichtathletik
Mit 29 Jahren und zwei Olympia-Teilnahmen beendet Carolina Krafzik ihre sportliche Karriere als 400 Meter Hürdenläuferin. Gemeinsam mit ihr beendet auch Werner Späth nach 60 Jahren seine Trainertätigkeit. Was Krafzik vom Sport und ihrem Trainer gelernt hat und wie es jetzt weitergeht, erzählt sie im Reinen mit sich.

Mit dem Karriereende von Carolina Krafzik im Anschluss an die Olympischen Spiele 2024 in Paris geht eine, wenn nicht sogar die erfolgreichste 400 Meter Hürdenläuferin Deutschlands von der Bahn. Beim VfL Sindelfingen begann sie als 100 Meter Hürdenläuferin, bevor ihr Trainer Werner Späth sie zu den 400 Meter Hürden überreden konnte und sich die Erfolge häuften. Die ertragreichen sechs Jahren waren geprägt von raschen Erfolgen, aber auch mehreren Verletzungsphasen, gefolgt von alternativen Trainingsmethoden. Nun kann Krafzik auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken, wenn auch nicht auf den perfekten Abschluss ohne Verletzung.

Ein langer Prozess vom Anfang bis zum Ende

Im Vorlauf bei den Olympischen Spielen kam Krafzik unglücklich nach der sechsten Hürde auf, knickte um und zog sich einen Bänderriss im Sprunggelenk zu. „Ich habe zuerst nicht gewusst, was los war, nur, dass es sich nicht richtig anfühlt“, sagt sie im Rückblick. Dass der olympische Wettkampf beeinträchtigt sein würde, war der Hürdenläuferin schon vorab klar: schon seit Mai bereitete ihr die Achillessehne Probleme. Um ihren Körper zu schonen, sagte sie bereits das Finale der Deutschen Meisterschaften sowie die Europameisterschaften in Rom ab, das Olympia-Ticket hatte sie sich bereits 2023 gesichert.

Kurz nach den Olympischen Spielen verkündete Krafzik ihr Karriereende. Für viele mag diese Entscheidung überraschend gewesen sein, die Hürdenläuferin selbst wusste aber schon lange, dass es so kommen würde, gänzlich unabhängig ihrer Verletzung. „Nach der Deutschen Meisterschaft in München 2022 kam zum ersten Mal die Frage auf, wie lange ich das noch machen will. Wie sieht mein weiterer Zukunftsplan aus?“

Die körperliche Beanspruchung sei ein Aspekt des Leistungssports, den die 29-Jährige nicht außer Acht lassen konnte. Dabei hate sie für sich einerseits festgestellt, „ich will das nicht bis Mitte 30 machen“, und sich gleichzeitig vorgenommen noch einmal Olympia zu erleben und zu genießen. Dass die Spiele in Paris so nahe an ihrer Heimat stattfinden würden, war ein zusätzlicher Anreiz: Freunde und Familie könnten dann unkomplizierter vorbeikommen und dieses Ende gemeinsam mit ihr feiern.

Obwohl die Entscheidung ein Prozess war, fiel Krafzik die Entscheidung rückblickend leichter als erwartet: „Ich hatte 2022 den ersten Gedanken an ein Karriereende, bin aber froh, nicht direkt aufgehört zu haben. Das Gefühl, dass der Zeitpunkt stimmt, kam erst später.“ Die Hürdenläuferin befasste sich aktiv mit der Frage des Karriereendes und dem Danach, was ihr sehr geholfen habe einen konkreten Zeitpunkt zu finden: „Vielleicht war es auch für mich einfacher eine Entscheidung zu treffen, weil ich mir mit dem Lehramtsstudium ein sicheres Standbein außerhalb des Sports aufgebaut hatte. Ich falle nicht in ein ‚Was dann?‘-Loch.“

Der endgültige Entschluss wirklich nach den Olympischen Spielen 2024 die sportliche Karriere zu beenden, fiel dann im Herbst 2023, wobei Krafzik nicht allein aufhört: ihr langjähriger Trainer Werner Späth beschloss gleichzeitig nach 60 Jahren seine Trainertätigkeit zu beenden. Über die Trainingsbeziehung hinaus sind die beiden Freunde fürs Leben geworden.

Als Spätstarterin von der Kurz- zur Langhürde

„Ich kenne Carolina seit dem Herbst 2016, als sie bei mir anfing auf Kurzhürde zu trainieren“, blickt Späth auf acht Jahre als Krafzik’s Trainer zurück. „Bald habe ich bemerkt, dass sie mehr Talent für die längere Strecke besitzt, und ich konnte sie 2018 überreden, es doch einmal mit den 400 Meter Hürden zu probieren. Der Anfang war schwierig und mühsam, aber wie man sieht, hat sich unser gemeinsamer Aufwand gelohnt.“ Gemeinsam stellten sie Krafzik’s Training von der Kurzhürde auf die längere Distanz der 400 Meter um. Die Technik habe ihr keine allzu großen Probleme bereitet, reflektiert die Athletin, aber die Umstellung des Laufrhythmus und das bei längeren Strecken entstehende Laktat, das die Beine im Endspurt müde werden lässt, waren eine Herausforderung.

Mit 23 Jahren von der Kurz- auf die Langhürde zu wechseln, macht Krafzik zu einer Spätstarterin in ihrer Disziplin. Und zu einer erfolgreichen dazu: In den letzten sechs Jahren ihrer sportlichen Karriere durfte die Hürdenläuferin auf sämtlichen Deutschen Meisterschaften und Europameisterschaften starten, auch die Olympischen Spiele durfte sie zwei Mal besuchen.

Immer noch beeindruckt erinnert sie sich an ihre ersten Erfolge: „Dass ich mit der Langhürde einen Deutschen Meistertitel geholt habe und im Nationaltrikot starten durfte – das ist der Wahnsinn, das hätte ich nie gedacht.“ Mit der Langhürde stand sie das erste Mal im Finale der Deutschen Meisterschaft 2018 und sicherte sich direkt den dritten Platz. Fünf Mal in Folge konnte Krafzik in den folgenden Jahren den Deutschen Meistertitel für sich verbuchen, etwas, was sie sich als Jugendliche nie ausgemalt hatte.

Bis 2024 hatte sie durch die Hartnäckigkeit ihres Trainers Späth alle großen Turniere des 400 Meter Hürdenlaufens erleben können. Diese eine, letzte Saison sollte nun ein runder Abschluss werden, in dem die beiden noch einmal 110 Prozent geben wollten, um sich dann ihrem eigenen, privaten Leben verstärkt zuzuwenden.

So wirklich allein steht man nicht vor den Hürden auf der Bahn

Allein stand die Langhürden-Spätstarterin nie wirklich auf der Bahn: „Ohne meine Eltern wäre meine gesamte sportliche Karriere nicht möglich gewesen. Vor allem als Jugendliche haben sie mich unglaublich viel hin- und hergefahren, zum Training und den Trainingslagern, haben mir die Trainingslager und die Spikes auch bezahlt. Diese finanzielle Unterstützung hätte ich mir in dem Alter nicht leisten können und ohne wäre ich auch nicht so weit gekommen. Sie waren und sind meine größten Fans“, lacht Krafzik herzlich.

Voller Stolz und Dankbarkeit erzählt sie, ohne ihren Trainer Werner Späth nie so weit gekommen zu sein. Krafzik sieht in ihm nicht nur einen Trainer, sondern auch einen Wegbegleiter und einen Freund der Familie.

Auch abseits der Laufbahn war Sport und das Training dahinter immer präsent in Krafzik’s Sozialleben: „Mein Freund musste die letzten Jahre über alle meine sportlichen Entscheidungen mittragen und oft zurückstecken, wenn ich Training hatte.“ Der soziale Alltag war immer ein Begleiter ihrer sportlichen Laufbahn, nie eine Nebensache; und manchmal durfte auch der Sport gänzlich weichen und dem Alltag Raum geben: „Meine Freundesgruppe wissen alle Bescheid über mein Training, meine Karriere, und sind auch sportbegeistert. Sie freuen sich mit mir, sind aber keine Leistungssportler. Es hat mir sehr geholfen, dass sich mein Leben und die Gespräche nicht immer nur um den Sport gedreht haben, sondern auch um die alltäglichen, kleinen, normalen Dinge.“

Nicht nur Sport im Kopf haben

Diese Bodenständigkeit in ihrem Leben bezieht Krafzik aber nicht allein aus ihrem Umfeld. Sie sei schon immer ein bodenständiger Mensch gewesen, sagt der 80-jährige Späth: „Ich habe sehr schnell gemerkt, was für eine tolle Athletin und auch was für eine tolle Persönlichkeit sie ist: zielstrebig, zuverlässig, mit enormer Kampfkraft, wenn es ums Eingemacht ging, dabei auf dem Boden bleibend mit einer heiteren Lebenseinstellung, nicht nur den Sport im Kopf.“

Acht Jahre lang eine gemeinsame Athletin-Trainer-Beziehung zu gestalten, setzt zuallererst ein Verständnis für die eigene Persönlichkeit und die des Gegenübers voraus. In Krafzik hat auch Späth eine Athletin gefunden, die ihm den Schlüssel zum Erfolg eindrücklich wieder aufgezeichnet hat: „Ich habe viel von ihr und durch sie gelernt. Aufgrund der verletzungsbedingten Rückschläge ist mir durch sie noch deutlicher klar geworden, dass nicht aufgeben und durchhalten ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg auf Spitzenniveau ist. Sie hat mir bewiesen, dass man durch gutes Organisieren und Prioritäten setzen Ausbildung, Beruf und Hochleistungssport kombinieren kann.“

Was die 29-jährige Grundschullehrerin vom Sport fürs Leben gelernt hat, ist genau das: Organisation. Und das wiederum nach der Priorität: „Sport kommt zuerst, alles andere kommt danach.“ Späth habe in ihr nie nur die Athletin gesehen, sondern auch den Menschen darunter, kommentiert sie den Anteil ihres Trainers an ihrer Entwicklung.

Verständnis sei in ihrer gesamten Karriere eine Schlüsselkomponente gewesen: Verständnis vom Trainer an schlechten Trainingstagen, Verständnis von der Familie und dem Freund, wenn man im Trainingslager ist, Verständnis von den Freunden, wenn man nicht zu der Geburtstagsfeier kommen kann, die man aber gerne besucht hätte. „Man muss wissen, wofür man das alles macht, man braucht ein Ziel vor Augen und muss alles andere dahinter anstellen.“ Das war die Richtlinie der zweimaligen Olympia-Teilnehmerin, denn der zeitliche Spielraum mit Ausbildung, Referendariat, Training und sportbezogenen Terminen war in den letzten Jahren eng getaktet.

„Jetzt dürfen andere ran und sich ihren Traum erfüllen“

Dass sich alle Mühen, Anstrengungen und Entbehrungen gelohnt haben, steht für Krafzik außer Zweifel. Sie habe so viele Wettkampfstätten sehen und Wettkämpfe erleben dürfen und konnte ihre Karriere zu ihren eigenen Bedingungen beenden, sodass sie nun völlig im Reinen mit sich ihr Karriereende ankündigen konnte.

Auf einige Meilensteine kann sie sich im Rückblick berufen: sie ist fünfmalige Deutsche Meisterin geworden, hat die Zeiten im 400 Meter Hürdenlauf in den letzten Jahren in Deutschland vorangetrieben, ist 54-Sekunden-Zeiten gelaufen, die seit 26 Jahren nicht mehr gelaufen wurden, ist Zehnte bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokyo geworden, hat sich national einen Namen gemacht. „Jetzt dürfen andere ran und sich ihren Traum erfüllen. Ich bin mit meiner Karriere zufrieden“, resümiert Krafzik.

Derzeit fühle es sich dennoch nicht wirklich wie ein Karriereende an: der Grundschullehrerin komme es wie eine verlängerte Pause vor. Wie sich das in sechs Monaten entwickeln würde, wisse sie noch nicht genau, meint sie lachend. Zuerst einmal genießt sie die Freiheit nicht nach einem Plan leben zu müssen, das habe sie in den letzten Jahren schon ausreichend getan.

Das gleiche sagt auch Werner Späth: „Nun muss ich meine anderen Aktivitäten nicht mehr am Training oder Wettkampfkalender ausrichten, kann mit meiner Frau Rose, die in all den Jahren sehr zurückstecken musste, mehr gemeinsam unternehmen. Ganz sicher werden mir die intensiven Beziehungen zu den jungen Athleten und Athletinnen fehlen, sowie der fast tägliche Anblick schneller ökonomischer Bewegungsabläufe beim Sprinten oder Hürdenlaufen. Langweilig wird mir aber sicher nicht werden.“

Während die beiden im sportlichen Bereich nicht viel mit jungen Athleten und Athletinnen zu tun haben werden, wird sich Krafzik ab September nun vollständig auf ihren Beruf als Grundschullehrerin für Sport konzentrieren und möchte den Kindern die Freude an der Bewegung vermitteln.

Für Werner Späth wurde seine Athletin zu seiner persönlichen Heldin, als sie sich mit betäubtem, bandagiertem Fußgelenk durch den Hoffnungslauf bei den Olympischen Spielen gekämpft hat. Für die Grundschulkinder wird sie in jedem Fall eine engagierte Sportlehrerin sein: „In der Schule haben wir höhenverstellbare Schaumhürden, die ich in der Leichtathletik-AG nutze. Die Kinder sind sehr beeindruckt, wenn ich darüber springe, denn meine Hürdenhöhe ist für die Kleinen unglaublich hoch. Das wollen die dann auch direkt ausprobieren.“

Das Erklären und Zeigen einer Sportart ist ein Aspekt des Sportunterrichts, den die 29-Jährige aus der Erfahrung heraus gestalten kann. Dass das von den Kindern manchmal auch kreativ lose interpretiert werden kann und viel Geduld und Humor von ihrer Seite gefordert sein wird, weiß Krafzik schon jetzt. Über einen Kommentar aus der Ersten Klasse lacht sie herzlich: „Die Kinder wissen von ihren Geschwistern oder Eltern, dass ich auch etwas anderes mache als nur Sport zu unterrichten. Dann habe ich ihnen erklärt, was ich so mache. Ein Kind hat dann gesagt: ‚Ah, das ist dann ja wie bei den Pferden, die über Hindernisse springen.‘“

Lisa Rosenberger / blv